Sonntag, 29. Dezember 2013

Wiener Papp - Ein Buchbinde-Mythos

Ein ehrwürdiges Handwerk wie die Buchbinderei hat unzählige Wechsel, Umbrüche und Innovationen in seinen Technologien erlebt. Dabei entstanden Mythen, weil Jahrzehnte alte, in Generationen bewährte Werkstoffe, Maschinen oder Werkzeuge auf Nimmerwiedersehen im Buchbinder-Orkus verschwanden. Der eine oder andere Begriff geistert auch heute noch in manchen Köpfen, vor allem in solchen, die sich durch die Fachliteratur der frühen Jahre des 19. und 20. Jahrhunderts wühlen. So begegnete mir schon öfter der Begriff vom „Wiener Papp”. 
Das war nach allem was ich las und in Gesprächen mit alten, erfahrenen Fachleuten erfuhr, ein spezieller Klebstoff, in erster Linie für Leder oder ähnliche Werkstoffe. „Wiener Papp” musste in seinen Anfängen vom Buchbinder selbst hergestellt werden. Bis in die Jahre nach dem 2. Weltkrieg konnte dieser vielgenutzte Kleber als Pulver oder Granulat käuflich erworben werden. 
In „Wilhelm Leo's Buchbinderkalender von 1921” lese ich voller Staunen und mit einem gewissen Quantum Brechreiz, wie - so kurz nach dem Ende des 1. Weltkriegs - die Buchbinder den vielfach verwendbaren „Wiener Papp” selbst herzustellen hatten, allen damit verbundenen Schrecklichkeiten zum Trotze. Für die jüngeren Leser_innen sei's wiederholt: Die aktuellen Kaltleime und auch haltbaren BuBi-Kleister gab es damals noch nicht. Und der allerseits eingesetzte Warmleim aus tierischem Ausgangsmaterial musste auch gehegt und gepflegt werden. Heutzutage wäre es kein Problem, sog. Fischleim oder auch Hasenleim zu verwenden, denn diesen Leimen haben menschenfreundliche Chemiker den traditionell strengen Geruch abgewöhnt.
Zurück zum „Papp”. Ich zitiere Leo's Kalender, 1921, S. 158, 159. Viel Vergnügen!
»Eines der besten, wenn nicht das beste Klebmittel für Leder usw. ist der sogenannte Wiener- oder Schustrpapp, welcher in jeder Buchbinderartikelhandlung zu haben ist. Derselbe wird 5-6 Stunden in kaltem Wasser erweicht, sodann das übrige Wasser abgegossen und mit einem Stückchen Holz tüchtig verrührt, worauf er gebrauchsfähig ist.« Soweit die Version für den kapitalkräftigen Buchbinder. Nun folgt die Arbeitsanweisung für den sparsamen Selbstversorger:
»Man rührt Gerstenschrot mit heissem Wasser zu einem sehr dicken Brei an und fügt dann in immer kleineren Partien so lange heisses Wasser unter Umrühren hinzu, bis die Masse etwa auf 35-38 Grad Celsius erwärmt ist. Nach einigen Tagen beginnt die Gährung, wobei die Pappmasse ihre körnige Beschaffenheit allmählich verliert und eine gleichmäßige, bräunliche Masse bildet. Um den widerlichen Geruch, welcher sich bei der Gärung des Papps entwickelt, unschädlich zu machen, wird ein einfaches Mittel angegeben, das vortreffliche Dienste leistet.« 
Nun kürze ich ab und schildere mit eigenen Worten, wie der Behälter, in dem die Gährung stattfindet, mit einem speziellen Deckel versehen wird, in dem eine Ofenpfeife eingesetzt wird, welche mit dem Ofenrohr des Werkstattofens mit offener Befeuerung verbunden ist. So konnten trickreich die unsäglich stinkenden Gärungs- und „Faulgase von den „Feuerungsgasen fortgerissen werden”.
Schlussbemerkung von einem, der sich liebend gerne mit verflossener Technik und vergessenem Material befasst und daraus schon viele nützliche Anregungen für den Amateur destilliert hat. Mein alter Buchbindeguru, der hochbetagte Karl-Heins Krons, wurde noch in den später 30er Jahren als Praktikant einer ehedem sehr bekannten Buchbinderei in Köln einmal monatlich  mit den Lehrlingen in den Hof gescheucht. Dort warteten ein paar alten Bütten mit Kleister-/Leim-Wasser und eine alte Presse, um die angefallene Makulatur der Werkstatt zu „Pappe” zusammenzumatschen, äh, Verzeihung, zu pressen. Im Mittelalter und bis zur Erfindung der gegautschten oder gegossenen Pappe, nannte sich das, wissenschaftlich dokumentiert - „Steinpapier”. Heute wundert es mich nicht, dass beim Befeuchten manch alter Pappe dieser ein nervtötender Stank entweicht. Soviel für heute von einem zu Recht verschwundenen mytischen „Buchbinder-Klebstoff”.

Montag, 23. Dezember 2013

Vier Wünsche für 2014:



Für 2014 wünsche ich mir und allen meinen Freunden viel Licht, Farbe, Glück und Gesundheit.

All the best for 2014.

Dienstag, 17. Dezember 2013

Hübsches kleines Büchlein …

… steht repariert und neu eingebunden im Regal. Das war/ist ein Buch für englische Schulen zum Thema Buchbinden: „A practical Course in Bookcrafts and Bookbinding” von John Mason, erschienen  1947 in Großbritannien. Ich habe es für kleines Geld auf ebay ersteigert. Der Buchblock, welcher ja schließlich wichtig, war bis auf eine weiche Stelle gut erhalten, weil auf Kunstdruckpapier gedruckt und wenig gebräunt. Dafür war die Decke irreparabel beschädigt, weil eine Ecke abgebrochen und verschwunden war. Ein weiterer Knick ging durch das Titelschildchen. Wie der da reingekommen war, k.A. Egal, mit dem mir eigenen Sinn für Humor habe ich diesen Knick visuell erhalten, da ich das Büchlein nicht zu verkaufen gedenke. Es bleibt also, in feines deutsches Buchbinderleinen gehüllt und verziert mit den Resten der originalen Titel- und Rückenprägungen im heimischen Bücherbord stehen.

Für Anfänger_innen und solche, die es noch werden wollen, bietet es eine didaktisch gut nachvollziehbare Reihe von „projects”, wie der neudeutsche Hobbyist zu sagen pflegt.

Schlussbemerkung: Ich hab's nicht verlernt, obwohl ich ziemlich genau 3 Monate - gesundheitsbedingt - kein Falzbein anfassen konnte. Die buchbinderlose, die schreckliche Zeit ist vorbei. Yavol!

Dienstag, 13. August 2013

Französischer Vokabeltrainer für Bibliophile

Heute postet H. in seinem Blog einen sehr amüsanten Beitrag aus der Welt der französischen Bibliophilie. Einige der Begriffe haben mir gut gefallen. Also habe ich mich von meiner aktuellen, mäßig begeisternden Brot-und-Butter-Schreiberei ablenken lassen. Ich habe mir erlaubt, den Beitrag ins Deutsche zu übertragen. Das hat mir viel Spaß gemacht. Was das alles mit dem Schnäuzer zu tun hat, das müssen Sie schon selbst herausfinden.

Link zum Original-Beitrag: http://bibliophilie.blogspot.fr
Link zum Facebook-Hinweis: https://www.facebook.com/BlogBibliophile?hc_location=stream


Vokabeltrainer für Bibliophile

Eigentümliche Ausdrücke und Manierismen aus der Welt der Bibliophilen, gesammelt von einem der ihren während einiger Fachvorträge. 

Mutig in alltägliches Deutsch transferiert von einem der auszog, die französische Buchkultur zu verstehen.

Moustache: 
(handgestochenes) Kapital, Kapitalband

Faire du cul: 
Dieser Begriff von René Dudin (Die Kunst des Buchbinders-Vergolders, 1772) beschreibt, was passiert, wenn ein Buch mit dem Beschneidhobel gegen den Rücken getrimmt wird. (Anm. pz: Ist mir passiert, sieht Sch***** aus!)

Faire de la pointe: 
Wenn der Buchbinder den Kopfschnitt übertrieben hat oder gar zuviel abgeschnitten hat. (Anm. pz: Sieht auch Sch**** aus.)

Livre truffé: 
Buch mit eingebundenen Originaldokumente ( z.B. Portraits, Zeichnungen, Grafiken, Briefe, etc.. ). Man erinnert sich unbedingt an den Begriff, wenn einem der Preis in der Nase sticht. 

Défouetter: 
Modernes Antiquariat, Edelramsch, wird oft direkt von der Palette verkauft. 

Dents de rat: 
Beschreibt Buchschmuck in der Form einer Folge von kleinen Dreiecken oder anderen kleinteiligen Mustern.

Lavron: 
Geschlossene Lage, die beim Beschneiden nicht getroffen wurde, oder auch Bezeichnung für zusammenklebende Seiten. 

Farci:
Der Begriff aus der Kodikologie beschreibt ein Manuskript, zwischen dessen Seiten ein Blatt mit einem fremden Text eingefügt wurde.

Biblioklepte: 
Bücherdieb.

Bibliocapèle: 
Aus dem griechischen ‚bibliokapelos’, Buchhandlung („Bücher en detail”).

Astéronyme:
Eine Reihe von Sternchen anstelle eines Namens wurden im 18. Jahrhundert verwendet, um einen Autor zu anonymisieren.

Caviarder:
Geschwärzte Textstellen, Zensur.

Bouquineur:
Bücherwurm, bookworm, lebt von und für (antiquarische) Bücher.

Dienstag, 2. Juli 2013

Über die Feinde des Buches

Dass ehrenwerte Buchbinder unter der Knute bestimmter Auftraggeber, gewissen manischen oder despotischen Büchersammlern, auch edelste Buchschätze mit Hilfe ihrer Beschneidhobel oder Blockschneider auftragsgemäß in größenvereinheitlichte Bibliotheksexemplare konvertierten, machte schon den alten William Blades wütend. In seinem Buch von 1905, The Enemies of Books, wird das sehr deutlich. Er listete die Feindes des Buches auf und beschrieb ihre Sünden wider das gebundene Buch: Feuer, Wasser, Gas und Heizung, Staub, Vernachlässigung, Ignoranz und Bigotterie, Ungeziefer, Buchbinder, Sammler, Dienstboten und Kinder. 
Ist das jetzt klar, Buchbinder!?
Deshalb war dieses kleine Avis-Zettelchen hier notwendig & nützlich. Ob es auch wirklich genutzt hat? Schaut sich unsereiner in Antiquariaten, Bibliotheken oder bei Online-Versteigerungen Exponate oder Lose an, ist starker Zweifel angesagt. Der aufmerksame Buchliebhaber versteht gelegentlich die Welt nicht mehr, angesichts seltener Inkunabilien, denen sogar der oberste Rand der Initialen weggehobelt worden ist; Motto: Passt schon! Manche der Raritäten sind im Bund so eingezogen, dass man sich die ersten Silben mancher Zeile selber ausdenken muss, lesen geht nicht. Dazu kommen nicht selten bis auf wenige Millimeter eingekürzte Ränder: einfach grauslich wie der Begriff „Beschnitt” gar zu wörtlich genommen wurde.  (Quelle: https://www.facebook.com/Reliureetcompagnie)

Montag, 1. Juli 2013

Neu in Buchbinders Werkzeugsammlung : Trindles



Trindles, homemade
Trindles, 3 mm stark, Selbstbau, weil nirgends zu kaufen. Nicht aus (Edel-)Holz, nicht aus Aluminium gemacht, das verwendete Material nennt sich Leinen-Micarta, schwarz, und wird von Messermachern gerne hier bestellt. Es ist nicht schön, aber nützlich, denn es lässt sich auch von einem mechanisch weniger begnadeten Menschen, wie ich einer bin, und auf füzzeligem Hobby-Equipment ordentlich bearbeiten.
Wozu der ehrenwerte Amateurbuchbinder die Dingerchen, die nur paarweise auftreten, braucht?
»Cutting in Boards« lernen, Beschneidhobel vorausgesetzt, mit den Trindles nimmt man zum Beschneiden des bereits in die Deckenpappen eingebundenen Buchblocks die Rundung raus.
Und so beschreibt der alte Cockerell einen Vorgang, der übrigens besser funktioniert als ursprünglich befürchtet: http://tinyurl.com/o8zktqj  Infos auch hier: http://www.ligatus.org.uk/glossary/node/2659

Montag, 24. Juni 2013

» … gute Kameraden …«


Wenn sich, was gelegentlich passiert, Menschen im Gespräch mit mir darüber verwundert zeigen, wie sehr ich mich für die zahlreichen Nebenschauplätze meines erlernten Berufes, Werbefachmann, und meines Hobbys, Buchbinden, interessiere, dann fehlen mir die Worte. Es fällt mir schwer, und das möge man mir verzeihen, zu akzeptieren, dass sich mein Gegenüber nicht fürs Papiermachen, für Bleisatz, Kalligrafie, für Druckverfahren, Farben, Pergament, Papier, Pappe usw. usw. begeistern kann. Also gebe ich verbal mein Bestes und suche nach Worten für diesen uralten Kosmos, für diese eine Grundmauer unserer Geistes- und Kulturgeschichte. 
Nun habe ich beim Stöbern in einem Periodikum von 1965 (philobiblon, Jhrg. IX, Heft 2, S 268) einen schönen Satz gefunden, den ich mir für zukünftige Gespräche merken werde. Er stammt von dem berühmten Künstler, Grafiker, Holzschneider hap grieshaber, der Setzer und Drucker gelernt hatte, bevor er studierte und Künstler wurde.
Montefiascone Project, gegenüber

Zitat: »Wer drucken kann, hat gute Kameraden: Setzer, Ätzer, Papiermacher, Schreiber, Lithographen, Buchbinder und Buchdrucker. Wir sind alle den Meistern des Handwerks verpflichtet. Jeder von uns muß erst verstehen lernen, ehe er die Konvention mit neuem Elan durchbricht. Weil wir soviel beachten müssen, verstehen wir uns aber auch besser. Immer ist unser Metier gefüllt mit berufsfremden Dingen, Gedanken, die uns weitertreiben.« 
Vielleicht ist es das, was mir das grafische Gewerbe (im weitesten Sinne gedacht) so sympathisch macht. Und so erkenne ich mit verbundenen Augen, wo der Eingang zur Druckerei oder zur Buchbinderei ist.


Samstag, 15. Juni 2013

Buch-Revitalisierung : Aus verdammt alt mach ziemlich neu

Wenn ein Text über früh-mittelalterliche Buchillustrationen, bebildert mit zahlreichen putzigen Holzschnitten der Zeit, so anfängt: „Die naive Sinnlichkeit des Auges ist dem Deutschen nicht gegeben, er muß sie sich immer erst erwerben. Er ist sachlich zu stark interessiert, um mit unbefangener Optik die Dinge in sich aufzunehmen.”, dann muss ich das lesen. Dann kann ich  richtig was lernen oder mich köstlich amüsieren - oder gar beides.
Wenn das Buch eine Ruine ist, bin ich noch mehr versucht, zu kaufen und mich an die Arbeitsplatte zu stellen, um zu retten was noch zu retten ist. Allen Unkenrufen vom ‚Zerstören historischer Buchsubstanz durch Neueinbinden’ halte ich mein Foto mit den übrig gebliebenen Einbandteilen und dem fertigen Neueinband entgegen; der Originalpappeinband war eine Ruine, ihm fehlte hinten ein ganzes Stück, vorne war er ziemlich eingedrückt. Von Bindung keine Spur. Die Lagen habe ich im Falz geklebt und durch die alten Löcher neu auf Köperband geheftet. Ursprünglich war das Buch auf Streifen von Gaze geheftet, aber da versteh ich nix von. 
Das ursprüngliche Titelschildchen habe ich abgelöst. Das ging ganz einfach, da es mit einem leicht zu lösenden Kleber aufgebracht war, der beim Anfeuchten jämmerlich nach billiger Zigarre stank. Aber sonst ist alles paletti, einschließlich Kapitale und Lesebändchen. Und nun konnte ich auch endlich mal einen Rücken mit dem feinen, zweifarbig-gefinkelten Eidechsenpapier machen. Der Ur-Rücken war so ähnlich geprägt, allerdings einfarbig braun.




WorringerWilhelm:
Die altdeutsche Buchillustration
Mit 105 Abbildungen nach Holzschnitten.
München: R. Piper & Co., 1919, 1. Aufl. 152 S. gr. 8°.  einfarbiger Buchdruck auf Maschinenbütten.
(Gekauft für 4.– €, ohne zu handeln).

Freitag, 14. Juni 2013

Was kostete Buchbinden A.D. 1883 ?

Ein Kölner Antiquar bietet auf eBay den Band 1 der 15-bändigen Amsterdamer Gesamtausgabe, gedruckt 1682, des berühmten deutschsprachigen Mystikers Jacob Böhme an. Nur Band 1 ? Ja, und der professionellen Beschreibung des raren Bändchens entnimmt der sensible Leser, mit welch ehrlichem Bedauern Antiquar Stöger die restlichen Bände vermisst. Das kann ich nachvollziehen, denn ich weiss zufällig, wie teuer Böhme-Reprints gehandelt werden, so sie denn überhaupt einmal angeboten werden.

Das Buch ist keine Schönheit (mehr), es scheint vielgelesen zu sein. Interessanter ist das beigebundene Vorsatzblatt des Käufers von 1883, der mit allerbesten Absichten die komplette Originalausgabe neu hat einbinden lassen: „Gegenw[ärtiges] theosophisches Werk Jak. Böhme ist im Jahre 1883 v. der antiquarischen Buchhandlung in Tübingen angekauft worden. Dasselbe bestund damals in 5 Bänden. Im Jahre 1890 hat man dasselbe nach all seinen einzelnen Theilen wie solche der sel. Böhme geschrieben, und zwar der schnellen Auffindung und des bequemen Gebrauchs halber in 29 Bd. binden lassen, deren Kosten sich auf 18 M. belaufen. Gesamtkosten des Werks 61 M. Gebe Gott, daß dieses unschätzbare Werk nicht in unberufene Hände gelange. Anno 1890”
Der fromme Wunsch ist leider nicht in Erfüllung gegangen, denn   die restlichen 28 Halbleinenbände sind verschollen. Aber nun wissen wir aus authentischer Quelle, was die Bindearbeit damals gekostet hat. Das ist schließlich auch mal eine interessante Information. Wenn Sie mitbieten wollen, drücke ich Ihnen die Daumen: http://tinyurl.com/mhfk8we

Freitag, 31. Mai 2013

Vom Buntpapier. Ein grenzüberschreitendes Archiv in vier Bänden

Vor einigen Jahren las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Text über die Wiedergeburt des „totgeglaubten Archivs” mit dem Tenor, dass in den digitalen Zeiten zahlreiche Liebhaber und Kenner des gesammelten Wissens hervorragende Mittel entdecken oder entwickeln, um ihr Wissen zu sammeln, ihre Sammlungen abzubilden und, noch wichtiger, über alle Grenzen hinweg zugänglich zu machen. 
papier dominodte - Buntpapier
Das Zitat „Wissen gleichzeitig sammeln, ordnen und zugänglich machen […]” der Wissenschaftshistorikerin Anke Te Heesen habe ich mir mutig zum eigenen Leitgedanken für mein ganz persönliches „Suchen und Sammeln” gemacht. Das galt für meine letzten Berufsjahre, in denen es mir gelungen war, aus ignorierten, unsortierten historischen Memorabilien einer Unternehmerfamilie eine Menge allgemein verfügbares Wissen zu einem einstmals führenden mittelständischen Unternehmen zu generieren. Gleiches gilt auch für meine Leidenschaft, die Buchbinderei, verbunden mit meiner Charaktereigenschaft, nicht in Demut zu verharren, wenn lauthals von oben verkündet wird, dass dies und jenes schon immer so gemacht worden wäre. Die vielen damit verbundenen ‚und damit basta’ haben mich nur noch mehr dazu angespornt, weiterzusuchen, weiter zu suchen, zu fragen, zu lernen. 

So erging es mir auch, als ich mich im vergangenen Jahr auf ein Buchbinde-Seminar eines amerikanischen Buchrestaurators und Buchbinders als Lehrbeauftragter einer englischen Stiftung in einem italienischen Priesterseminar vorbereitete. Ich lernte also eine feine Buchbindetechnik fern moderner Maschinen aus französischer, vorrevolutionärer Zeit (Zitat deutscher Buchbinder-Meister-Mensch: „ … ah, sowas wie Franzband, nur primitiver …”). Sehr vorlaut und ignorant war das, fand ich, und habe mich also mit der Zeit der Aufklärung in Frankreich und Deutschland intensiv beschäftigt. Die verschiedenen Bibliografien, die mir ans Herz gelegt wurden und die Früchte meiner weiteren Suche füllen Ordner, analoger und digitaler Art.  

Ein Thema, dem weniger Beachtung in der Welt der Buchbinde-Historiker geschenkt wurde, war das „Buntpapier”, wobei allseits Konsens bestand, und der hieß halt „Marmorpapier” und „Kleisterpapier”. In deren Schatten ignorierten wir alle viel sehr viel weiter verbreitete,  kunsthandwerklich bearbeitete Papiere: dominotés, Modeldrucke, Firnispapiere, Brokatpapiere aus Deutschland, Italien und Frankreich. Besonders im 18. Jahrhundert brillierten die handwerklichen Kunstwerke durch „erstaunliche Leuchtkraft” und beeindrucken uns noch heute, weil sie „voll wilder Schönheit” sind (Marc Kopylov), selbst in schummerigster Schonbeleuchtung in der Bibliotheque Mazarine.  
In einem kleinen, hochspezialisierten Pariser Verlag (Édition des Cendres), den Marc und  Christiane F. Kopylov im Schatten des Pére Lachaise betreiben, erschienen vier veritable, erstklassig edierte, meisterhaft reproduzierte „Archive”, wunderschöne Bücher zu den mitteleuropäischen Buntpapieren des 17. - 19. Jahrhunderts mit über 1.000 Abbildungen. Bereits 2010 erschien das Buch „Papier dominotés” von André Jammes, illustriert mit Beispielen seiner Privatsammlung. In diesem Jahr kamen die entsprechenden Bände zu Frankreich, Italien und Deutschland auf den Markt. (Alle Bilder: © Édition des Cendrés)

Marc Kopylov 
— Papiers dominotés français ou l'art de revêtir d’éphémères couvertures colorées 
livres & brochures entre 1750 et 1820
25 x 25 cm, farbiger Einband, 240 farbige Abb., 448 Seiten / ISBN 978-2-86742-207-2
Limitierte Auflage von 999 Ex. 130 €

— Papiers dominotés italiens. Un univers de couleurs, de fantaisie et d’invention (1750-1850)
25 x 25 cm / farbiger Einband, 280 farbige Abb., 408 Seiten / ISBN 978-2-86742-208-9
Limitierte Auflage von 999 Ex. 130 €

Christiane F. Kopylov 
— Papiers dorés d'allemagne au siècle des lumières (1680-1830)
25 x 25 cm / farbiger Einband, 240 farbige Abb., 448 Seiten / ISBN 978-2-86742-208-6
Limitierte Auflage von 999 Ex. 130 €
Es besteht die Möglichkeit, diese drei Bände in einem Schuber gesammelt zu erwerben. 

André Jammes 
— Papiers dominotés. Trait d’union entre l’imagerie populaire et les papiers peints (France 1750-1820
25 x 25 cm, farbiger Einband, 350 farbige Abb., 564 Seiten / ISBN: 2-86742-176-1 ; 2010 ; 
Limitierte Auflage von 999 Ex. (nahezu vergriffen), 180 €.
⇣  Wie auch immer Sie sich entscheiden, bitte direkt an den Verlag wenden:
 Éditions des Cendrés
Adresse: 8 Rue des Cendriers, 75020 Paris, Frankreich
Telefon:+33 1 43 49 31 80

Dienstag, 30. April 2013

Buchbindermesse 2013 in Köln …

… Porz! Wie bitte? Weg von Köln-Humboldt-Gremberg? Ja, heute fand ich per Zufall den ersten Hinweis der Veranstalterin darauf, dass die deutsche Buchbindermesse umziehen wird. Nach 13  Jahren, in denen diese einzigartige Veranstaltung in der „palette”, einem Betrieb der GWK, eine Heimat fand, umziehen wird. Unter Freunden wurde schon länger über mögliche Veränderungen gemurmelt, die den aktuellen Umwälzungen innerhalb der GWK geschuldet sind.
Also, für Ihren Terminkalender:
=> Buchbindermesse Köln, Sonntag, 27. Oktober 2013, in Köln-Porz, Oberstrasse 96, 51149 Köln (Porz-Westhoven). Das ist einfach zu finden und alles ist vorhanden, was der emsige Buntpapierraffer zur Erholung braucht. Wir sehen uns. Ich freue mich schon, obwohl mich der Verlust der alten „location palette” schmerzt.

Dienstag, 9. April 2013

papiers dominotés — Buntpapier


Liebe Leser_Innen: 
In der offiziellen Ankündigung der Ausstellung, die ich Ende Mai in Paris (Bibliotheque Mazarine) besuchen werde, lese ich folgendes: »À la croisée de l’imagerie populaire et des papiers de tenture, un foisonnant univers graphique a vu le jour dans les ateliers des cartiers, dominotiers et graveurs d’images entre 1700 et 1850.« Ich ‚verstehe’ den Sinn (bin net deppert), OBWOHL ich den Text durch das subgeniale Übersetzungsprogramm von google laufen ließ: »An der Kreuzung der populären Bildern und Tapeten wurde ein reich grafischen Universums in den Werkstätten von Cartier, dominotiers Bilder und Schriftsteller zwischen 1700 und 1850 erstellt.” Ach, Herrjeh! Wenn es ja nicht so traurig wäre, könnt ich mich weglachen.
Neugierig geworden ob der Tatsache, dass ein ‚modernes’ Übersetzungsvokabularium keinen deutschen Begriff für ‚dominotiers’ oder ‚papiers dominotiers’ besitzt, wollte ich mehr wissen. Meine verstorbene Frau, eine studierte Romanistin, hat mir einen mitgenommenen Sachs-Villatte von 1917 hinterlassen. Darin finde ich „dominoterie” – 1. Verfertigung bunten, türkischen (d. i. mormoriertes) Papiers. 2. Bilderbogen, Handel mit Bilderbogen.
Und dann: „dominotier” – 1. Fabrikant und Händler von Bilderbogen oder Dominospielen. 2. wilder Pflaumenbaum. Was mich darüber phantasieren lässt, wie wild wachsende Pflaumenbäume zu Dominosteinchen oder Druckvorlagen verarbeitet wurden.
Und das ganze stammt von dem schönen Wort „domino” (dominus/Herr) ab. Ich zitiere: 1. Kostüm für Kostümball, 2. Person mit Maske (daselbst), 3. Dominospiel, 4. Dominostein, 5. mormoriertes, türkisches Papier, 6. Winterchormäntelchen der Geistlichen.
Und was ist mit „cartier”? Da wirft der Google nur den Jubellier und Schanduhrenmachen für Millionäre aus. Der olle Sachs-Villatte ist da besser: „Cartier” – 1. (Spiel)Kartenmacher, 2. Kartenhändler, 3. Einwickelpapier (der Spielkarten).
Und nun noch „graveur”, dessen Bedeutung ist mir - schon aus rein beruflichen und buchliebhaberischen Gründen klar. Warum der mit „Schriftsteller” übersetzt wird, jedoch nicht. Hätte wenigstens, der Ehre wegen, ‚Schriftstecher’ da gestanden. Doch Sachs-Villatte vergisst keinen: „graveur” – 1. Stecher, Graveur. Und mit verschiedenen, präzisierenden Zusätzen kommen dann übersetzt: „Stahlstecher, Holzschneider, Petschaftsstecher, Münzstempelschneider, Stempelschneider, Kupferstecher, Radierer, Notenstecher”. Auf die Ausstellung in Paris mit den zahlreichen, bis heute nicht öffentlich zugänglichen Musterpapieren freu ich mich schon heute und erhoffe mir einiges an neuem Wissen zum „Kulturgut Buntpapier”.

Nachtrag: Ein französischer Sammler hat seine Kostbarkeiten fotografiert und auf picasa online-gestellt. 

Freitag, 5. April 2013

Buntpapier, grenzüberschreitend

Buntpapier, darunter verstehe ich kunsthandwerklich oder industriell gefertigte Papiere, die zum Kaschieren, zum Beziehen von Buchdeckeln, Schachteln oder gar Möbelinnereien genutzt wurden. Buntpapier konnte in alten Büchern als Vor- und Nachsatz in voller Pracht und Herrlichkeit überleben, weil der Buchbinder seine Arbeit präzise und fachgerecht erledigt hat. Als Vorsätze alter Bücher haben die anonymen, schön gestalteten oder aufwändigen, goldglänzenden Papierschätze überlebt. In vielen antiken Schränken wurden sie, wenn verschlissen oder zeitgeistig überholt, durch neue Papiere ersetzt. Auch in einigen Archiven können Muster besichtig werden.
Die verfügbare Literatur, wissenschaftliche Textsammlungen ausgenommen, ist begrenzt und, abgesehen vom Text, langweilt oft wegen der Schwarz-weiß-Abbildungen. Mich erfreute im vergangenen Jahr eine kleine, feine Ausstellung in Würzburg mit wenigen, aber schönen Beispielen alter Buntpapiere. Die meisten stammten von der verflossenen, ehedem berühmten Aschaffenburger Buntpapierfabrik (Dessauer); aber Katalog – Fehlanzeige.



Quelle für die Abbildungen: Éditions des Cendres, Paris

Dass jenseits der Grenzen ‚auch’ Buntpapiere hergestellt wurden, wird klar, wenn man sich die Angebote im Buchbinderbedarf oder Papierladen anschaut. Japan ist stark vertreten und Italien, ein bisschen noch aus Deutschland und England. In Italien und Japan werden teilweise zwei- bis dreihundert Jahre alte Dessins nachgedruckt und durch viele blümelige und kitschige Neu-Dessins erweitert. Manches Design ist wirklich gut und anwendbar, manches führt geradewegs zur Erblindung.
Doch so gut wie niemand legt die alten Traditionsmuster in Deutschland auf. Das ist zum Teil nachvollziehbar, weil mit hohen Kosten verbunden. Leider hat sich in deutschsprachigen Verlegerkreisen noch nicht herumgesprochen, dass es Digitaldruck gibt, durch den die immensen Kosten für Druckvorlagen etc. entfallen. Mit einem guten Scanner können allerbeste Farbreproduktionen erarbeitet werden. Deren Vervielfältigung (bis DIN A 3) liegt dann im Cent-Bereich pro Seite.
Die wenigen, rührigen Buntpapiererinnen, die wir von den Buchbinde- und Papierbörsen her kennen, geben sich viel Mühe, wenigstens einige der traditionellen Muster in mühevoller Handarbeit zu revitalisieren und anzubieten.
Als regelmäßiger, zielorientierter Facebook-User beziehe ich eine Menge schöner Anregungen und Abbildungen aus mehreren globalen Kontakten, u.a. auch mit einem französischen ‚Bibliomanen’. So kam ich jüngst zu dem Hinweis auf eine Ausstellung von antiken Buntpapieren in Paris. Sie findet noch bis zum 7. Juni d. J. in der Bibliotheque Mazarine statt. Parallel zur Ausstellung erschienen 3 (drei)  herrlich illustierte Bücher in einem Pariser Spezialverlag, je eines für  Frankreich, Italien und Deutschland (alle in limitierte Auflage, bestem Druck, fundiertem Text).
Eine der Buchautorinnen, Christiane F. Kopylov, schrieb mir, die Eröffnungsveranstaltung und die Besucherzahlen hätten die Erwartungen der Austellungsmacher und des Verlages übertroffen, trotz der Tatsache, dass dies die erste Buntpapier-Ausstellung in Frankreich sei. Das Interesse am Kulturgut Buntpapier scheint erwacht und die Zahl seiner Liebhaber_innen immer größer. Es gibt noch viel zu entdecken - jenseits der Grenzen. Und das ist gut so.

Mittwoch, 20. März 2013

Frontispiz, das

»Geneigter Leser, Du bist, so nehme ich an, erpicht darauf, zu erfahren, welche Komödiantenmaske, welcher Possenreißer hier so vorwitzig auf allgemeine Schaubühne und unter die Augen der Welt drängt, indem er sich eines anderen Mannes Namen aneignet; woher er kommt, weshalb er es tut, was er vorzubringen hat …«
Jetzt spinnt er total, haben Sie gedacht. Stimmts? Tu ich aber nicht, ich habe lediglich einen der (elenden) Skribenten zitiert, der wg. des für seine Zeit brisanten Buches, das er schrieb, im frühen 17. Jahrhundert unter Pseudonym (Democritus Junior) zu Oxford publizieren musste, weil ihn sonst die Obrigkeit malträtiert hätte. Die zitierten Worte stammen von Robert Burton, das weiss man heute, und lassen sich im Vorwort zu seinem famosen, heute vergnüglich zu lesenden „Die Anatomie der Melancholie” finden.
Und jetzt zur Überschrift, geneigter Leser. Dem Vorwort gegenüber finde ich ein zweites Frontispiz mit einem sehr schön übersetzten trivialen Gedicht, das gleich kommt. Vorher muss ich noch das rekapitulieren, was ich gestern 2 jungen, rein digital aufgewachsenen Damen erklärte, die sich im Buchgewerbe so gar nicht auskannten. Sie wiegten gedankenschwer ihre wohlfrisierten Köpfchen, da sie hinter dem Wort Frontispiz eine zweideutige Bedeutung witterten. Also hier noch mal zum nachgrübeln, meine Damen: Das Frontispiz ist meist eine Illustration, die sich auf der zweiten, dem Titelblatt (Seite 3) gegenüberliegenden Seite befindet und in älteren Büchern absolut Standard war. Das Frontispiz ist in der Regel auf die Rückseite des Schmutztitels (Seite 1) gedruckt. Heutzutage wird diese schöne Tradition nur noch selten genutzt, meist sind es querköpfige Buchgestalter, die sich da austoben dürfen. Früher waren es hauptsächlich Autorenportraits in schnieken Rahmen, die abgebildet wurden. (Quelle:  wikipedia, adaptiert und gekürzt). Und jetzt das versprochene Gedichtchen:

   Hier war ein kleines Plätzchen frei:
   Jetzt trägts des Autors Konterfei.
   Sein Geist entging dem Zeichenstift:
   Ihn triebs nicht (wies sonst üblich ist)
   Hierher – wenn Ihr es wissen müßt –
   Nur Eitelkeit und dummer Stolz:
   Der Drucker hat es so gewollt. 

Dazu sage ich nur: Das ist Weltverzweiflung mit Humor, oder?


Dienstag, 5. März 2013

Ein Buch mit was dran

Vor ein paar Jahren habe ich für meinen Lieblingsbuchhändler und -antiquar Werner Clemens dieses Buch fotografiert: „MIKADO fotografiert von Lucas Roth”, Herausgeber war Joachim Elzmann, verlegt wurde es von Andy Lim, Darling Publications, Köln.

„Mikado” erschien 2007 in limitierter Auflage von 500 Exemplaren, hatte 64 Seiten mit zahlreichen Fotos des für seine Architekturfotografie bekannten Kölner Fotografen Lucas Roth. Dieses leuchtend grüne Einbandmaterial, habe ich wg. seiner besonderen Haptik seither gesucht, doch nie gefunden. Das Buch hat einen blindgeprägten Titel. In der Blindprägung des Rückens war ein Mikado-Stäbchen aufgeklebt. Der Grund für diese aussergewöhnliche „Zugabe” ist in der Story des Buches zu finden. Es dokumentiert, wie Joachim Elzmann aus zehntausenden Mikadostäbchen unter tätiger Mithilfe einer Heißklebepistole wunderschöne fragile Gebilde baut, die auf Lucas Roths Fotos sehr beeindruckend wirken. Das Buch ist antiquarisch hier zu haben: http://tinyurl.com/adaf48b

Mittwoch, 27. Februar 2013

Stolz zu sein bedarf es wenig …

Die dekorierten Papiere meiner Buchbinde-Freundin Tanja Karipidis (Erlangen) lassen nicht nur  manches Buchbinder- bzw. Restauratorenherz höher schlagen, mittlerweile hat sie einige treue Sammler, die ihre Blätter nicht verarbeiten, sondern in Mappen aufbewahren. Das ist meine Sache nicht, weil das Aufhäufeln - auch schöner Papiere - nur die Schubladen im Papierschrank verstopft. Meine Sache ist, die mit großer Sorgfalt, viel Erfahrung und professioneller Qualität hergestellten Kleisterpapiere weiter zu verarbeiten.
Mit einigen traditionellen Kleisterpapier-Designs habe ich meine Probleme, sie sind oft in einer Formensprache gestaltet, die nicht die meine ist. Tanjas Konzept für Sprenkelpapiere, die streng der Natur und hauchzarten Vogeleierchen nachempfunden sind, hat mir von Anfang an imponiert. Die damit kaschierten Bücher, Schuber und Käschtle haben einen eigenen Charme - ohne piefig zu wirken. Weil ich meine Bucheinbände nur sehr selten öffentlich hergezeigt habe, bin ich wirklich stolz, dass Tanja zwei Exemplare auf ihrer schönen Kleisterpapier-Ausstellung in Erlangen ausstellt. (Bilder Tanja K.)

Mitte: Das Vorbild im kaschierten Kästchen. Rechts: Tanjas 
flexibler Pergament-Einband nach Roger Green. Links: Sprenkelpapier für Einband, Vorsatz und Schuber für das ‚Vogeleibuch’ mit den Referenzen für authentische Designs.

Hans Fürstenberg; Das Französische Buch 
im Achtzehnten Jahrhundert …
Originalausgabe Weimar 1929, Lieferung in losen Lagen, 
Fadenheftung, Sprenkelpapiere, Ziegen- u. Aalleder.




Donnerstag, 21. Februar 2013

Orangfarbene Register als Decke für Koperten

Als Jungpfadfinder hatte ich, wie jeder meiner Kumpels, einen lebensnahen Spitznamen, der mein wahres Selbst zum Horror meiner ordentlichen Damenschneider-Mutter realitätsnah widerspiegelte: „Sammeltasse”. Ja, ja! Mein dickster Freund, Heinz-Herbert R. wurde „Degga” gerufen; warum nur? Oder unser unwiderstehlicher Freund Rosenbaum fing sich unwiderruflich den Spitznamen „Zeisig” ein, weil er so schön falsch pfeifen konnte.
Sammeltasse also, denn ich konnte wirklich nix liegen lassen, was andere weggeworfen hatten. Ich  konnte alles gebrauchen. NZI, ich war kein Kleptomane, obwohl ich das Obst in den Gärten der grimmigen Opas in der Nachbarschaft schon mal dezimierte. Nein, ich besitze heute noch Relikte meiner kindlichen Sammelwut. Steine, Scherben, Schrauben, Nägel, Knöpfe, Treibhölzchen. Eines Tages fand ich, nachdem die anderen schon alle daran vorbeigelatscht waren, eine kleine frühgotische Steinrosette, die wohl ein Dieb auf der Flucht vor dem Küster der Kirche, in der wir unseren Schulgottesdienst zelebrierten, weggeworfen hatte. Der überaus fleischige Schulprälat, dem ich das Teil in die Hand drückte, hat mir so liebevoll väterlich meine gestutzten blonden Locken gestreichelt, dass ich meine im Hintergrund hemmungslos feixenden Kumpels, alle in Pfadfinderkluft, nur mühevoll davon abhalten konnte, mir einen neuen, unanständigen Spitznamen zu verpassen.
Sammeltasse zum Zweiten, also. Vor über 20 Jahren, als die ersten funktionstüchtigen PC bei meinem Arbeitgeber auftauchten, wanderten die bis dahin allseits genutzten Karteikästen in die Müllcontainer. Drei habe ich retten können. Die Karteikarten waren vollgestempelt, vielfach beschriftetet und mit Tippex verunstaltet, die mochte ich nicht retten. Die A6+ großen A-Z-Register-Karten im Querformat, hergestellt aus geölter, orangefarbener unkaputbarer Manilapappe, hatten es mir angetan. Sie überlebten, um von mir probehalber in eine Koperte umfunktioniert zu werden. Die Lagen innen habe ich aus einem Rest butterweichem Velin gefalzt. Sieht hübsch aus, lässt sich aber nicht so knackig heften. Ist wohl ein wenig überlagert.

Geölte Manilapappen sind selten geworden, jedoch vielfach zu verwenden.

Anyone some Zwischenpäppchen? A und Z sind schon weg.

Sonntag, 17. Februar 2013

Never stop learning, bookbinder!

Ach wie wohl ist dem, der dann und wann noch etwas Schönes lernen kann. (Ahem!) Vor allem, wenn er - so wie ich - sehr ungern nur aus Büchern lernt. Lerning by doing ist meine Sache, denn beim Zuschauen lerne ich am schnellsten. Ein paar mal zu Hause nachgebaut und das neue Buchbinde-Thema hat seinen Schrecken verloren. Diesmal interessierte mich der Kurs „Koptische Bindung” bei Roger Green in Wuppertal, der instruktiv und spaßig war - wie immer, wenn Roger in seinem Wuppertaler Gewerbequartier und ländlicher Ruhe am Wochenende einen Kurs gibt.
Zu den Koperten fällt mir spontan ein, dass die - und die berühmte 1-2-Lagen-Technik der Nag-Hamadi -Funde mit die ältesten Buchbindetechniken sind. Erforscht und dokumentiert sind erstaunlich gut erhaltene, leimfreie Bücher aus den ersten Jahrhunderten nach Chrsti Geburt. Es muss also was dran sein an der Näh-/Heftkunst der Äthiopischen Mönche, der Aramäer und vieler arabischer  Menschen rund um das Mittelmehr. 
Darüber hinaus wurde mir klar, dass ein Buch in koptischer Bindetechnik aussieht als ob seine Herstellung keine Mühe machen und das Heften recht einfach wäre. Beides täuscht. Äußerlich ist alles ganz einfach; in der Ausführung jedoch sind minimale Details von großer Bedeutung und wichtig für Schönheit und Funktionalität. 
Dann möchte ich noch anmerken, dass die historische Bindetechnik, und das beweist auch ein kurzer Besuch auf etsy und dawanda, der Phantasie von Amateuren und Profis bei der Wahl des Materials keine Grenzen setzt. 
Im Gegensatz zu einem Blogger, der bedauernd schrieb: Während […] christliche Mönche vorwiegend Gebetbücher mit dieser Bindung herstellten, wird heute […] nur noch von wenigen Handbuch- und Hobbybuchbindern angewendet, um Fotoalben, Notizbücher oder andere kunsthandwerkliche Bücher herzustellen.”  behaupte ich: Es werden immer mehr! Schau dir mal an, was im englischsprachigen Raum ‚abgeht’

12 Koperten, 6 Teilnehmer_innen, 2 halbe Tage Lernarbeit

Der Meister himself korrigiert unter dem kritischen Blick der Schülerin
die Heftung der berüchtigten „letzten Lage”.


Samstag, 2. Februar 2013

Ein ‚richtiges’ Buch aus einem Stapel Kopien …

… zu machen, soviel Luxus muss sein. Darauf bestehe ich. Schließlich hab ich gelernt wie das geht.  Es macht mir wenig Mühe, aus dem Stapel  Fotokopien eines legalen Downloads „Islamic Bindings & Bookmaking - Gulnar Bosch et.al” ein richtiges Buch zu machen. Das schöne Original, ein Ausstellungskatalog aus dem Jahr 1981 des Oriental Institute der Universität Chicago, ist unerreichbar, weil selten und entsprechend teuer (ca. 450 $).

Bosch, Carswell, Petherbridge - Islamic Bindings & Bookmaking - Chicago 1981

Nun haben die 235 Seiten eine weinrote Ausstattung einschl. festem Leinen-Einband, und auch sonst noch alles, was ein ordentliches Buch braucht, wenn es im Regal neben der (ebenfalls legalen) Kopie des noch berühmteren Szirmay zu stehen kommt.
Und ich komme meinem Ziel, nur noch Bücher über Bücher (und das Buchbinden) zu kaufen, immer näher. Vor allem, wenn ich lediglich einen Doppelseitenpreis von 0,02 € fürs kopieren zu berappen hatte.

Sonntag, 20. Januar 2013

Der abgestaubte Atlas

Schon korrekt die Überschrift, denn äußerlich war der olle Dirkes-Schulatlas ziemlich staubig. Freunde wollten ihn in die blaue Papiertonne werfen. Der Dirkes war ursprünglich mal in goldgeprägtes braunes Leinen gehüllt, die alte Pracht war dahin. Nach flottem Einsatz des Saugers und dem Entfernen des wasserrandigen, welligen Einbandes habe ich doch über die frischen Farben im offsetbedruckten Inneren gestaunt.
Doch wozu taugt ein über Jahre im Schulranzen herumgetragenes Buch aus den 70er Jahren überhaupt noch, ausser vielleicht zu Makulatur verarbeitet zu werden? Immerhin ist jede Seite gut 33 cm hoch. Wozu dienen noch die aus der politischen Mode gekommenen Karten in Zeiten von g****le maps?  
Geht doch: Versuch alte Dirkes-Karten weiterzuverwenden.

Hier mein erster Versuch mit dem Kartenmaterial als Laufrichtung-geprüfter Vor-/Nachsatz. Schaut doch ganz putzig aus, oder? Lediglich beim Einhängen, da muss man schnell sein, das Papier rollt sich rack-zack-sofort (!) ein, wenn BuBi nicht aufpasst. [Block 13 x15,5 cm, Abschnitt von elfenbeinfarbenem  Feinschreibpapier, gelumbeckt, 1,5 mm BuBi-Pappe, in ein Restchen von gelbem Regent eingeschlagen, Standard-Kapitelbändchen].
That's all. Hat Spass gemacht. :D