Samstag, 6. November 2010

Buchbinders Neugier: Deutsche Geschichte und die Herstellung von Marmorpapier. Zitate und persönliche Anmerkungen

Der alte Franz Weiße, Prof an der „Hansischen Hochschule für Bildende Künste” in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts und Autor der Schrift „Die Kunst des Marmorierens”, hat mich wirklich neugierig gemacht.
Einerseits: Seine zeigenössisch-deutschtümeligen Begeisterungs-ausbrüche ignoriere ich großmütig, überspiele gelegentlich aufkommenden Lachreiz, und stelle dann fest, der Mann war durch und durch ein begnadeter Handwerker, Künstler, Lehrer. Seine Publikation beweist es. 
Ich kann mir ohne Mühe vorstellen, wie er zusammen mit seinen Lehrlingen/Studenten, Männlein wie Weiblein im weissen Kittel, durch einen mehrtägigen Marmorierkurs ‚gejoggt’ ist. Zurückbleiben galt nicht, das wäre ‚undeutsch’ gewesen.
Das Kapitel „deutsch/undeutsch” schließe ich mit zwei Zitaten ab. Weiße schreibt im Vorwort eine Spitze gegen den „Franzband”, ohne diesen zu nennen: „ … der führende Wille aus diesem Buch [geht] hinein in die Werkstätten der Meister und Künstler und erwirkt dort die seinen Zwecken dienende Schönheitspflege im Bucheinband-gewerbe, in dem der Pappband eine wohlzubeachtende Rolle spielt.”
Auf der Seite 11 kommt eine ‚deutsche’ Breitseite: „… wer Erfinder [des marmorierten Papiers] war, wissen die Götter allein, die es bis jetzt keinem Forscher verrieten. […] In früheren Zeiten wurden die Papiere als „türkische” oder auch „holländische” Papiere gehandelt, seltsamerweise nicht als „deutsche”, obgleich vermutet wird, daß viele davon in Deutschland angefertigt worden sind. Unser Könnertum stand im Hintergrunde und andere taten damit groß. Das wird nun anders; wir sind erwacht! Dieses Buch sorgt dafür, daß unsere Arbeit in der Welt die Achtung erhalte, die ihr zukommt.” Versöhnt hat mich dann schießlich sein ‚Schlußwort’: „Wir sind am Ende, fanget an!”
Andererseits: Marmorieren kann ich nicht, ich bewundere diese Kunst stets aus der Ferne, denn ich habe Probleme mit dem ätzenden Gestank der terpentin- oder verdünnungsgelösten Farben. Das war auch ein Grund, den Weiße zu lesen, denn der lehrte das Marmorieren mit wasserlöslichen Farben, aus Sparsamkeitsgründen in erster Linie. Teigfarben nannten die sich noch bis vor ein paar Jahren und waren bei Buchbindern in Gebrauch, die Farbschnitte machen mussten. Mittlerweile werden sie nach meinen Recherchen nicht mehr hergestellt und die letzten Reste wurde abverkauft. Der Interessierte wird auf die Akrylfarben verwiesen. 
Nächstes Stichwort: „Ochsengalle”. Vielleicht habe ich das bis heute überlesen oder nicht verstanden, aber Weisse setzt seiner verdünnten Teigfarbe Ochsengalle zu. Er empfiehlt auch die Verwendung von „Gallenwasser”, also einer verdünnten Mischung, um die Papierfarbe durchscheinen zu lassen. Das nächste Stichwort, das mich stutzen ließ, war der „Seifenspiritus”, den er pur, verdünnt oder dem Gallenwasser stark verdünnt zusetzt und so ein „Sprenkelwasser” erhält. 
Erfahrene MarmoriererInnen werden frohlocken, dass dies doch alles alte Kamellen seien. Der unerfahrene Fernbeobachter, der ich nun mal bin und der sich bisher wg. seiner allergischen Reaktionen auf die Verdünnungen scheute, einer Marmorierwanne zu nähern, hat jetzt die Fährte aufgenommen. Bis heute glaubte ich den ExpertInnen, dass „das alles richtig nur mit Ölfarben geht und suminagashi ganz was anderes ist.” Ich werde mal im Kleinen Versuche starten, wie das ganze denn mit wasserlöslichen Farben funktioniert. Langsam ahne ich, wie die wunderlich-schönen (Sonnen-)Papiere der alterfahrenen holländischen Buchbindekünstlerin Karli Frigge entstanden sind. 
Franz Weiße beklagt in seinem Text auch, daß so viel von dem alten Wissen unwiederbringlich verschwunden sei. Stimmt, denn im Mittelalter wurde so manche Bundpapiererin auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil die klotzdämlichen Kerle aus Justiz und Kirche sich anmaßten, diese schöne Handwerkskunst als Hexenwerk und Allchemie zu verunglimpfen. Wahrscheinlich haben die blutrünstigen Scharfrichter die Holzstöße mit einem Öltunkpapier entzündet - es brennt halt gut. 


Freitag, 5. November 2010

Buchbinden macht neugierig - Marmorieren

Seit Jahren schlummerte in einer meiner Ablagekisten ein wahrer Schatz, sträflich ignoriert. Weil mich das Häuflein Fotokopien mitleidig ansprach, habe ich ihm aus einem Rest dunkelweinrotem Römerturm Vor- u. Nachsatz angeleimt, gelumbeckt, den Rücken mit 3f-Gaze stabilisiert, beschnitten und mit 2 Stücken durchgefärbter schwarzer 2-mm-Pappe sowie einem Streifen weinrotem Iris eine ‚Steifbroschur’ verpasst. So konvertierte das Häufchen Papier zu einem lesbaren Buch, mit 45 Seiten eher ein ‚Büchlein’, das auch noch aufrecht im Regal stehen kann.
Schnell durchgeblättert fällt mir sofort auf, dass es 1940 erschienen ist. Damit ist auch die gewöhnungsbedürftige Typografie erklärt, die den Text in reiner Fraktur gemäß der damals noch herrschenden Nazi-Ästhetik erscheinen ließ.
Ein wenig hinter dem Titel des Herrn Weiße herrecherchiert, fand ich einen ziemlich hohen Preis im Antiquariat, ca. 70 - 80 € für ein Original in bescheidenen Zustand, einen nur gering reduzierten Preis für handeingebundene Fotokopien (ca. 45 - 50 €) und einen Spitzenpreis für eine englische Übersetzung in den USA (500 $, limitierte Auflage, Hardcover).
Das Original ist zwangsläufig streng limitiert (worden), da lt. amerikanischem Antiquariatstext Most copies of the original Die Kunst des Marmorierens were destroyed in a World War II bombing raid.”
Und nun freue ich mich nicht nur über das hübsche Büchlein in meinem Regal, lese mich demütig durch das altbackene, aber liebevoll formulierte Deutsch des berühmten Professors Weiße (ja, ja!) , der auch ein begnadeter Buchbinder gewesen sein muss, nein, jetzt bin ich auch noch stolz, den ‚Weiße gerettet’ zu haben.