Sonntag, 21. September 2014

Schäl Sick - Neue Heimat für Progressive …

… und solche, die es noch werden wollen. ;)
Was ein ‚echter’ Kölner sein will, der schaut mit theatralischem Gestus und von Klein auf eingetrichtertem  Mißtrauen auf meine kölsche Heimat, „Schäl Sick” genannt. Diese Bezeichnung ist historisch und stammt aus der Zeit als die Schleppkähne auf dem Rhein nicht von Motoren angetrieben sondern von Pferden gezogen wurden. Damit die bedauernswerten Viecher nicht verwirrt wurden, bekamen sie auf der Landseite eine große Scheuklappe verpasst, dann herrschte in ihrem Weltbild Ruhe. Weil diese Trailpfade für die Zugpferde rechtsrheinisch angelegt waren, erhielten die Bewohner Kölns, die dort lebten, den wenig schmeichelhaften Beinahmen „die vun der Schäl Sick”, im böswilligen Sinne von „scheel, blind, rückstandig”. Das hängt ihnen immer noch an, obwohl es von Anfang an schlichter Blödsinn war.
In den wichtigen Zentren der „Schäl Sick” herrschte (und herrscht) ein reges Proletarierleben und die Scheuklappen der Trailpferde galten (und gelten) nicht für die Menschen dieser Rheinseite. Zu den Zeiten, als die Linksrheinischen schon Hitler und seinen Satrappen heillos und in Massen zujubelten, bekamen sie und ihre Parteifürsten, Goldfasanen genannt, rechtsrheinisch, beispielsweise in Köln-Kalk, gewaltig was auf ihre SA-Mützen. Hier und in den angrenzenden Arbeitervierteln Humboldt, Vingst, Höhenberg und in dem Teil von Mühlheim, der vorher Kalker Feld hieß, waren Sozialisten, Kommunisten und ja, militante Katholiken tonangebend.
Weil sich die Wirtschaft, speziell im Kölner Osten sehr stark verändert hat, in den letzten 30 Jahren sind zehntausende Arbeitsplätze im Maschinenbau, in der Chemie usw. mit ihren Arbeitgebern wegrationalsiert worden, ergaben sich Chancen für Freie, für Kreative, Künstler, Kunsthandwerker, die im kaputtsanierten Köln der Nachkriegsjahre nur selten Platz für ihre Arbeit, für ihre Werkstätten und Ateliers fanden.
Im Rahmen des Kulturfestivals „Tag des offenen Denkmals 2014” besuchte ich heute früh eine mir - ich gestehe schamhaft - bis dato verborgen gebliebene Restaurierungswerkstatt. [http://www.hermes-restaurierung.de/startseite/], mehr oder weniger um zwei Ecken gelegen. Die Chefin und eine Mitarbeiterin erklärten mit geradezu gotischer Engelsgeduld den Besucher_innen, die das ein wenig versteckt gelegene Atelierhäuschen auf dem Gelände einer aufgelassenen Farben- und Lackfabrik gefunden hatten, ihr mühsames Kunsthandwerk. Für mich war das sehr lehrreich. Ich gehe davon aus, dass die Künste und das Können der wissenschaftlich hervorragend geschulten Restauratorinnen auch für mich gelten, wenn ich wieder einmal versuchen sollte, eine der verschollenen oder verschütteten Techniken aus vergangenen Jahrhunderten für mich und mein Hobby nutzbar zu machen, auf Papier zu bannen und in schöne Bücher einzubinden.