Samstag, 4. Oktober 2008

Buchbinden - Ignoriertes Handwerk - ein Lamento

Der hochwohlmeinende Herausgeber des Buches „Das Schatzhaus der deutschen Geschichte - Das Nationalmuseum - Unser Kulturerbe in Bildern und Beispielen (1982), Rudolf Pörtner sowie sein Verlag Econ mögen mir gnädig nachsehen, wenn ich in dem antiquarisch-günstig erworbenen, gut illustrierten Prachtbuch von über 700 Seiten einen Pferdefuß ausgemacht habe, der mich wirklich stört.
In zahlreichen kleinen, feinen enzyklopädischen Einzelbeiträgen dokumentiert das Werk ganz hervorragende kulturelle Werte und künstlerische Werke aus der germanischen/deutschen Vergangenheit. Hervorzuheben ist auch, dass es keine Deutschtümeleien oder germanische Überhöhungen zu finden gibt. Deutschee Kulturschätze werden im Kontext Mitteleuropas dargestellt.
Zwei Beiträge (R. Kahsnitz) „Das Goldene Evangelienbuch von Echternach” und (E. Rücker) „Deutsche Buchillustration vom Spätmittelalter bis zu Jugendstil” haben „das Buch” zu Thema - mit allen Einzelheiten, wer wann mit wem und, wichtig, für wen und für welchen Zweck ein Buch oder gar mehrere Buchkunstwerke geschaffen hat. Doch halt, beim Lesen stolperte ich über den fahrlässig oder bewusst versteckten Pferdefuß trotzdem: In beiden Beiträgen ist vom Buchbinden, vom Buchbinder n i c h t die Rede. Es treten auf: Autoren, Stifter, Auftraggeber, Schreiber, Kopisten, Illustratoren, Illuminatoren, Vergolder, Goldschmiede, Beinschnitzer - ganz sicher habe ich in dieser nicht enden wollenden Aufzählung eine Berufsgruppe ausgelassen.
Was mir ob der Berufsvielfalt unterlaufen sein könnte, durfte den Autoren eigentlich nicht passieren. Die Arbeit der Buchbinder, also der Menschen, die aus all den Pergamenten, Papieren, Elfenbeinschnitzereien, Goldschmiedearbeiten, Emaille- und Edelstein-Applikationen, aus bemaltem, besticktem, golddurchwirkten Stoffen, aus Brettern, Kupferplatten oder zu Pappen gepressten Papierstapeln Bucheinbände gearbeitet haben, Menschen, die aus Packen von beschriftetem Pergament oder Papier haltbare, handliche und somit lesbare Buchblocks zusammengeheftet haben, die auch heute noch Bewunderung und Staunen hervorrufen - nein, die kommen nicht vor. Auch nicht im Beitrag „Zeugnisse alten Handwerkslebens und alter Handwerkskunst” (K. Pechstein) im gleichen Buch.
Abschließend drängt sich mir die rhetorische Frage auf, ob denn in den frühen Jahren die Buchbinder (das waren eh meist Mönchlein oder von ihnen angelernte Laien) so untergeordnete Arbeitsbienen waren, dass ihnen keinerlei öffentlicher Wert, gar Status zugebilligt wurde. Erst vor wenigen Jahren hat ein angesehener Wissenschaftler und Buchkünstler, J.A. Szirmai, in seinem Basiswerk „Archeaology of Medieval Bookbinding” über dieses Thema gearbeitet und seine Ergebnisse publiziert. Er beklagt in seinem Buch nicht nur die Verdonnerung der Buchbinder, antike oder sehr frühe mittelalterliche Manuskripte in modische Bibliothekseinbände repräsentativ hineinzuzwängen und sie dadurch unwiderbringlich zu beschädigen. Nein,er wies auch die lange anhaltende Missachtung der Buchbindekunst durch die genäschige Überzeichnung der Einbandgestaltung durch Kunsthistoriker und andere Interessierte hin.
Tatsache ist, dass Szirmai erst gut 10 Jahre nach den vorher genannten Co-Autoren Pörtners die Buchbinder-Ignoranz zumindest im englischsprachigen Raum öffentlich gemacht hat. Ich erlaube mir, die auf mich dünkelhaft wirkende Ignoranz eines uralten Handwerks auch im Nachhinein nicht zu verzeihen.