Mittwoch, 11. November 2015

Spachtelpapier - (m)ein freudiges Wiedersehen

Zwischen 1994 und 1996, das Datum habe ich vergessen, besuchte ich mit meiner Buchbinde-Freunding Inken Martensen ein Buntpapier-Treffen in Landau. Eingeladen hatte der Buntpapierer René Salmen aus Bonn, bekannt für seine beeindruckenden Marmor- und Kleisterpapiere. Das Treffen fand in den Räumen der Buchbinderei Müller statt. Nach einer überaus informativen Führung durch die Räumlichkeiten der Buchbinderei wurden kurze Referate und kleine Diskussionsrunden angeboten. Einige der eingeladenen Buntpapierer zeigte auch ihr Können oder verkauften ihre Arbeitsergebnisse. Noch heute zehre ich von den expressiven Blättern René Salmens und einer holländischen Marmorier-Künstlerin, die ihre viktorianisch anmutenden Blätter leider nicht gestempelt hat.
Ein in meiner Erinnerung „älterer Herr” zeigte uns etwas, was er Spachtelpapier nannte. Leider überlagerte sich seine Demonstration mit einem anderen Programmpunkt. Ich war abgelenkt, erinnere mich aber noch an seine Technik und seine Anmerkung, dass die Farben in seinen Kunststoff-Dosierflaschen „Offsetfarben” seinen.
Als mir irgendwann in meinem Fortbildungsdrang einfiel, doch diese Papierdekoriertechnik näher kennenzulernen, fand ich nichts verwertbares. Der Gedanke daran verließ mich nicht und so war ich froh, dass ich von der berühmten Buchbinder-Fortbildungseinrichtung Buchbinder-Colleg in Stuttgart ein freundliches o.k. bekam, an dem ausgeschriebenen eintägigen Kurs zum Thema teilnehmen zu dürfen.
Mal abgesehen von dem hervorragenden Arbeitsumfeld mit aller Technik, die den Amateur-Buchbinder erfreut, und der professionellen Kursleitung, die hoch zu loben ist, habe ich mich in diesen Räumlichkeiten sehr wohl gefühlt. Die Reise hat sich für mich gelohnt. Und nun, gelernt ist gelernt, werde ich, zusätzlich zum Kleisterpapier, gelegentlich auch Spachtelpapiere machen. Doch das bedarf, bei aller Schlichtheit der angewandten Technik, sorgfältiger Vorbereitung.
1. Basis sind Offsetfarben, die mit Öl so aufgerührt werden, dass sie sich am Kopfende des zu schmückenden Papierbogens als dickere Tropfen applizieren lassen.
2. Dann ergreift man umgehend einen sog. Japanspachtel und zieht mit mehr oder weniger Druck den Farbtropfen nach unten.
3. Nach einem blitzschnellen kritischen Kontrollblick sollten mit einem schmäleren Spachtel die überschüssigen Farbstreifen vorsichtig auch nach unten gezogen oder auf der Makulatur abgestreift werden.
4. Das fertige Blatt ruht dann ein wenig in waagerechtiger Lage abseits vom Arbeitsplatz und kann dann für 24 - 48 Stunden an einem Wäscherack endgültig trocknen.


Spachtelpapier, von grell bis dezent, alles ausprobiert.
Beispiel-Blätter aus dem Stuttgarter Kurs.
Doch Achtung! Das ganze Verfahren ist eine ungeheuerliche „Schweinerei”! Mit ein wenig Planung lässt sich das Verfahren auch auf kleinem Raum anwenden. Offsetfarben haben ein flottes, artgerechtes „Wegschlagverhalten” und trockenen, laienhaft ausgedrückt, relativ schnell, hinterlassen aber bei unsorgfältigem Verhalten überall ihre Spuren, auch da, wo man sie überhaupt nicht erwartet hätte, beispielsweise auf der Kleidung. Die ältesten T-Shirts kommen so noch mal zu Ehren. Der Spachtelpapierer braucht also viel Makulatur, Putzlappen, Einweghandschuhe, Plastikbecher und Einwegspritzen (ohne Nadeln natürlich). Wer Verdünnung oder anverwandte Chemie verwendet, achte darauf, die Putzlappen nicht in einem geschlossenen Behältnis zu lagern, die Gefahr, dass sich der Kram selbst entzündet, ist nicht gering.