Freitag, 6. Mai 2011

Buchbinden : Vom Rost im Buchrücken

Da komm' noch einer und behaupte, buchbinde-bloggen würde nicht bilden. Doch, doch, tut es und hier kommt ein Beispiel: Bei Peter Verheyens Buchbinder-Akut- und Aktuell-Blog tauchte der in angelsächsischen Gefilden gängige Begriff vom „german binding” auf, der mich erstaunte, kannte ich ihn noch nicht.
Als leidenschaftlicher Buch-Revitaliseur kommen mir natürlich viele der prachtvollen deutschen Bücher des mittleren und späten 19. Jahrhunderts auf die Arbeitsplatte - in unterschiedlichsten Stadien der Zerstörung. Abgesehen von schlecht behandelten Büchern und mürben Lederscharnieren finden sich darin augenscheinliche Beweise dafür, dass die beginnende industrielle Buchproduktion einerseits wg. weiter Verbreitung und günstiger Preise löblich und wg. nicht nachhaltiger Technik andererseits schädlich war. Schädlich vor allem für die Bücher selbst.
In diesen Jahrzehnten entstand - für Deutschland hauptsächlich in Leipzig - eine Buchtechnik auf damaligem allerhöchstem Niveau. Durch den verstärkten Einsatz von Holzschliff-Papier werden Archivare heute in den Wahnsinn getrieben, weil das Papier durch den hohen Säuregehalt vergilbt, bräunt, brüchig wird. Es zerfällt langsam und unaufhaltsam, wenn nicht rasch und konsequent gehandelt wird.
Den Buchwiederbeleber erwartet darüber hinaus eine Menge Arbeit zusätzlich, denn die damals inflationär eingesetzten Heftklammern müssen alle entfernt werden, bevor irgend etwas anderes angepackt werden darf. Die in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts erfundene Hefttechnik, Lagen mit eisernen Heftnadeln auf Gaze zu heften und mit dünnem Kraftpapier und Knochenleim zu stabilsieren, ist beim Entfernen mühevollste Arbeit: Aufbördeln, Lage öffnen, Heftklammer ziehen - und bloß keine übersehen.
Eisenklammern rosten beim geringsten Feuchtigkeitskontakt. Zahlreiche  Bücher wurden bereits mit Rost ausgeliefert, da auf die gehefteten und gerundeten Buchblocks ordentlich Leim gepappt wurde. Eine weitere Schwierigkeit war die gelegentlich geübte Technik, vorsorglich geheftete und stabilisierte Lagen zu Bündeln zusammenzufassen und diese dann durch (!) eine weitere Lage Gaze nochmals zu heften. Das bedeutet heute, erst die Bündel zu entklammern, zu reinigen und dann erst die Einzellagen zu bearbeiten.
Mir ist eine besonders perfide Klammer-Variante untergekommen: Tackernadeln aus Zink. Die sind kleiner und feiner und sehen immer gut aus, weil ja nicht rostig. Sie sind aber sehr sensibel und brechen meist schon ab, wenn man sie aufbördeln will.
Egal, diese gloriose Errungenschaft der Buchbindetechnik wird englisch „german binding” genannt. Und ihr sind schon viele schöne Bücher zum Opfer gefallen, weil das Neubinden aufwändig und teuer ist oder weil der Rost sich schon so weit vorgefressen hatte, das eigentlich nur noch Lumbecken helfen kann.
Link_1 http://www.flickr.com/photos/suzypictures/3798627580/
Link_2 http://www.flickr.com/photos/coffee-drinker/5257703181/in/set-72157625611311038/