Sonntag, 16. November 2008

Fundsache: Ungewöhnliche Kapitalband-Lösung




Meinem neuen ‚Hobby’, dem systematischen Durchforsten der Buchbinder-Literatur in der Bibliothek der Kölner Fachhochschule, habe ich einen merkwürdigen Fund zu verdanken. Ich habe mir das 1926 datierte Buch von Hans Loubier - Der Bucheinband von seinen Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts - Monographien des Kunstgewerbes Band XXI/XXII - ausgeliehen. Es ist gut zu lesen, sachlich geschrieben und fachlich nicht überkandidelt aufgemacht. Die über 200 S+W-Abbildungen der alten Buchkostbarkeiten sind zusätzlich präzise beschrieben; in den zwanziger Jahren waren Farbabbildungen halt noch ausserordentlich selten. So viel zum Inhalt. Nun zur Hülle. Das Buch ist von einem/r - auch aus heutiger Sicht - Meister/in seines/ihres Faches eingebunden worden. Dieser Einband verbindet auf sehr originelle Weise die Notwendigkeiten eines stabilen Bibliothekeinbandes von hohem Gebrauchswert mit dem Wunsch des Buchbinders / der Buchbinderin zu zeigen, was man/frau handwerklich kann und gestalterisch zu bieten hat. 
Das Buch ist auf 4 schmale Bänder (ca. 10 mm breit) geheftet, die Fitzbünde liegen sehr dicht am oberen Beschnitt (dunkelgrau gefärbt) und am unteren ‚Beschnitt’, der keiner ist, weil bis auf den Kopfschnitt der Block berauft ist, sprich nicht bearbeitet worden ist. Wo immer ich aufschlage, die Seiten liegen schön flach auf, die Heftung ist ausgesprochen flach gehalten worden und überhaupt nicht ‚müde’, wie Antiquare gerne mosern, wenn sie den Preis für alte Bücher drücken wollen. 
Das Buch ist auf Original-Kunstdruckpapier im Buchdruckverfahren gedruckt. Es hat doppelten Vor- und Nachsatz, der Einband ist als Halbleinen (Naturleinen) mit farblich abgesetzter „Elefantenhaut” bezogen und zeigt zwei je 3 mm schmale Papierstreifen in Kontrastfarben zwischen Leinen und Bezugspapier. Dieses war der erste buchbinderische „Streich”, doch der zweite folgt sogleich nach dem Aufschlagen. 
Im Bruch/Falz des ersten Vorsatzes (und des letzten Nachsatzes) aus stark strukturiertem hellbraunem Bütten (Fabriano?), prangt eine durchgehende „Schau-Heftung” des Seidenfadens, mit dem die Kapitalbänder von Hand gestochen worden sind. Der Faden folgt der Heftung des Blockes und ist - vorne wie hinten - am unteren Fitzbund sichtbar verknotet.
Jetzt wüsste ich nur noch, ob es für diese ungewöhnlich kunstvolle und handwerklich anspruchsvolle Art, Kapitelbänder zu stechen, ein Vorbild gibt - oder gar einen Namen? 

3 Kommentare:

tulibri hat gesagt…

Hallo Mr. Zillig! Auf Englisch heißt es Sewn Endsheets, und hier gibt's ein PDF, das erklärt, wie man's macht. Der durchgehend erscheinende Heftfaden kommt daher, dass beim Heften des Vorsatzes einmal ganz ums Heftband rumgeheftet wird.

Auf Deutsch habe ich die Bezeichnung Heftvorsatz und vorgeheftetes Vorsatz gefunden, doch die scheinen wohl nicht allgemein gebräuchlich zu sein ... Jedenfalls ein schöner Fund!

pzillig | vuscor hat gesagt…

hi, Astrid, dein Archiv ist ja prächtig sortiert … Danke. ;-)
Leider tutet es dein Link nicht, irgendwas stimmt da nicht. Könntest du vielleicht noch einmal …? TAL
Ein alter Bekannter, selber Absolvent der versunkenen Kölner Werkkunstschule, deutete an, dass bis in die 30er Jahre wohl auch Buchbinden/Buchgestaltung gelehrt worden sei.

Anonym hat gesagt…

Der korrekte Link

http://www.library.cornell.edu/preservation/publications/documents/EndsheetsinCommonUse.pdf